Zur Weihnachtszeit erfahren ärmere Menschen vermehrt Unterstützung. In der Gassenküche stehen Hilfsbedürftige das ganze Jahr über im Zentrum. Ein Besuch.
Von Franco Brunner, “die Südostschweiz”
Frauenfeld. – Es herrscht alles andere als winterliche und vorweihnachtliche Stimmung an diesem trüben Mittwoch in Frauenfeld. Der Hauptort des Thurgaus zeigt sich von seiner verregneten und kalten Seite. Weihnachtsstimmung verbreitet höchstens die dezente Sternendekoration, die ein paar Bäume an den Strassen schmückt. Und vielleicht noch der Mann mit dem Akkordeon, der vor einer Einkaufspassage unmittelbar beim Christbaum-Verkaufsstand «O Tannenbaum» und «Stille Nacht» anstimmt. Auch gegenüber dem Einkaufszentrum deutet auf den ersten Blick nichts darauf hin, dass das heilige Christfest bevorsteht. Das unscheinbare, graue Haus macht nur durch den dünnen, langen Kamin, aus dem weisser Rauch emporsteigt, auf sich aufmerksam. Bei näherer Betrachtung ist zudem ein kleiner Zettel auf der grossen Eingangstüre auszumachen. «Gassenküche Frauenfeld: geöffnet jeden Mittwoch von 11.30 bis 13 Uhr. Herzlich Willkommen!»
Weihnachtliche Stimmung
Beim Eintritt in die Gassenküche steigt einem umgehend ein Appetit machender Duft in die Nase. Nach dem kurzen, aber steilen Gang die enge Treppe hinauf wird klar, woher dieser Wohlgeruch kommt. In der kleinen Küche wird emsig gekocht, und aus den Töpfen dampft und zischt es. «Willkommen in der Stube», sagt eine freundlich wirkende Dame mit einem ansteckenden Lachen. Es ist Sandra Kern, Initiantin und Geschäftsführerin der Gassenküche. Sie ist gerade daran, die Tische im kleinen Saal weihnachtlich zu dekorieren. Kerzen, Tischtücher mit Sternenmuster, diverse Tannenzweige sowie ein paar kleine Strohengelchen verbreiten eine warme Atmosphäre im Raum. «Heute gibt es auch noch ein kleines Geschenk für unsere Gäste», sagt Kern und zeigt auf die Papierherzchen von der Heilsarmee mit Zündhölzern drin. «So können sich die Gäste zuhause ihre Zigaretten oder ihre Kerzen anzünden.» Die Idee zur Gassenküche entstand im Rahmen ihrer Diplomarbeit zur Sozialmanagerin, wie Kern erzählt. «Ich hatte mit leichtem Erstaunen festgestellt, dass es hier in der Region noch nichts Ähnliches gab und habe danach eine Marktanalyse erstellt. Wir setzten uns einen Zeitraum von einem halben Jahr und rechneten bei der Eröffnung mit zehn bis 15 Gästen», erinnert sich Kern. Gekommen seien aber schon damals, vor mittlerweile über einem Jahr, rund 30 Gäste, was in etwa dem heutigen Durchschnitt entspreche.
Herzlicher Empfang
«Gäste», so nennt Kern die Besucher der Gassenküche. «Die Gassenküche ist ein Restaurant für Randständige, dementsprechend wollen wir die Menschen, die zu uns kommen,
auch wie ganz normale Restaurantgäste behandeln», erklärt sie. So ganz normal scheint das Verhältnis zwischen Wirtin und ihren Kunden dann aber doch nicht zu sein, wie sich kurz nach 11 Uhr herausstellt, als die ersten Gäste die Gassenküche betreten. Denn solch einen herzlichen Empfang wie hier erlebt man wohl in keinem «gewöhnlichen» Restaurant. Die meisten Besucher werden mit Namen begrüsst, für einzelne gibt es sogar noch eine Umarmung von der Chefin. «Klar, man kennt sich mittlerweile, und ich freue mich immer wieder auf das Wiedersehen», sagt Kern.
«Jeder geht satt vom Tisch»
Zur Gassenküche-Stammkundschaft gehören Menschen, die am Existenzminimum leben. Die Mehrheit davon ist alleinstehend. Wie zum Beispiel die beiden Damen, die an Tisch Nummer 3 sitzen. Sie kämen schon seit der Eröffnung der Gassenküche hierher, sagt die 56-jährige Elsbeth Küenzle. «Ich freue mich jedes Mal auf den Mittwoch», ergänzt ihre Kollegin Agnes Graf lachend. Die 65-Jährige ist jede Woche aufs Neue verblüfft, dass die Verantwortlichen mit und für so wenig Geld so etwas Gutes auf den Tisch zaubern können. «Und das Tolle dabei ist, jeder geht satt vom Tisch», sagt Graf. In der Tat lässt es sich sehen, was die Gassenküche-Gäste für drei Franken erhalten. An diesem Tag hat das Küchenteam um Matt Suremann einen Salat, eine Griesssuppe sowie einen Braten mit Kartoffelstock, Rüebli und Rosenkohl zubereitet. Die Lebensmittel hierfür wurden von der Schweizer Tafel zur Verfügung gestellt. Nachschöpfen sowie Getränke sind im Preis inklusive – und wenn am Schluss noch etwas übrig bleibt, können es die Gäste gar unentgeltlich mit nach Hause nehmen. Heute kommen, sozusagen als vorweihnachtliche Präsente, sogar noch eine Joghurtcreme als Dessert und die von einer Frauenfelder Oberstufenschule gemachten Guetsli hinzu.
Wiedersehen in einer Woche
An diesem Tag hat das Gassenküche-Team an die 40 Gäste verköstigt und ihnen zudem in der kalten Vorweihnachtszeit ein wenig Wärme und Geborgenheit geboten. Um 13 Uhr schliesst die Küche, und das Team um Sandra Kern macht sich an die Aufräumarbeiten. Derweil gehen die Gäste wieder ihrer Wege. Einer der letzten, der aufbricht, ist der Akkordeon-Mann, der sich, wie er sagt, nun wieder in der Einkaufspassage einrichten werde. Wie wohl die meisten anderen Gäste auch, wird er mit grosser Wahrscheinlichkeit am nächsten Mittwoch erneut in der Gassenküche anzutreffen sein und von Kern und ihrer Mannschaft gewohnt herzlich empfangen werden.