«Weihnachten ist eine schwierige Zeit»
Während Weihnachten in den meisten Haushalten heilig ist, hat sich die Gründerin der Gassenküche, Sandra Kern, entschieden, am 25. kein Fest in ihrem Restaurant zu veranstalten. Und zwar aus einem ganz bestimmten Grund.
Frauenfeld Geschmückte Tannenbäume, Guetzli, Geschenke: Für die meisten Familien in der Schweiz ist der 25. Dezember der wichtigste Tag des Jahres. Das Fest der Liebe. Doch was, wenn man keine Familie hat? Niemand da ist, mit dem man feiern kann? Wie sehen Personen diesen Tag, die nicht so viel haben, wie andere? Wir haben bei Sandra Kern, Gründerin der Gassenküche Frauenfeld, nachgefragt. Und eine überraschende sowie etwas traurige Antwort erhalten: «Weihnachten findet in der Gassenküche nicht statt.»
«Viele sind froh, wenn der 25. vorbei ist»
An Weihnachten traurig zu sein, ist für den durchschnittlichen Schweizer undenkbar. Laut der Mettendorferin können sich aber längst nicht alle über den hohen Feiertag freuen: «Viele meiner Gäste haben keine Familie. Aus diesem Grund löst Weihnachten in ihnen oft ein Gefühl von Traurigkeit aus. Sich an Weihnachten einsam zu fühlen, ist nicht schön.» Überall wird der 25. Dezember als Familienfest dargestellt. Für Menschen, die am Existenzminimum leben, sei das schwer mit anzusehen, so Kern weiter. Aus diesem Grund hat sich Kern für den 25. Dezember nichts Besonderes einfallen lassen. Schlicht, aber mit Herz, lautet die Devise. So wie an jedem anderen Tag in der Gassenküche auch. «Ich habe schon vor Jahren damit aufgehört, das Restaurant weihnächtlich zu schmücken. Ich will meine Gäste nicht an den Feiertag erinnern, das würde sie nur traurig stimmen.» Dekorieren werde sie einfach und fröhlich. So wie immer eben. Denn: Ihre Gäste seien jeweils froh, wenn Weihnachten vorbei ist oder wenn es den Feiertag gar nicht erst geben würde.
Ein selbst gekochtes Essen
Wenn schon nicht die Stimmung und die Dekoration, ist wenigstens das Essen weihnächtlich angehaucht. «Normalerweise koche ich am 25. Dezember jeweils selbst. In diesem Jahr wird das aber nicht im gleichen Rahmen möglich sein, wie sonst auch», erklärt Kern und schaut auf ihre Krücken. Ein Überbleibsel ihrer Knieoperation von vor ein paar Wochen. Ihre «VIPs», wie Kern ihre Gäste liebevoll nennt, müssen aber trotz der körperlichen Einschränkung nicht auf sie verzichten. «Da sein werde ich auf jeden Fall. Das ist für mich selbstverständlich.» Während im letzten Jahr Ragout nach Grossmutterart zubereitet wurde, hat Kern für dieses Jahr etwas anderes im Kopf: «Ich dachte, ich könnte mal wieder einen festlichen Braten machen. Mit Beilage und allem, was dazugehört.» Seit zwei Jahren gehören auch Geschenke dazu. «Die Kirche Wängi hat mich vorletztes Jahr gefragt, ob sie für meine Gäste Präsente zusammenstellen darf. Seither ist das schon fast zur Tradition geworden. Auch in diesem Jahr wird es wieder einen Gabentisch geben», berichtet Kern erfreut. Anders als in vielen Familien üblich, werden keine teuren Dinge wie Laptops oder Konsolen verschenkt. Vielmehr sind es Sachen, die die Menschen am Existenzminimum gut gebrauchen können. Laut Kern ist aber die Freude über diese Präsente jedes Jahr unermesslich gross: «Meistens erhalten meine ‘VIPs’ Duschgel, Bodylotion oder Rasierschaum. Es hat schon Freudentränen gegeben, weil die Gäste so gerührt waren.» In diesem Jahr dürfen sich die Besucher der Gassenküche sogar über ein zweites Geschenk freuen. Eine namhafte Autogarage aus Frauenfeld hat sich nämlich bereiterklärt, die Kosten für das Essen an Weihnachten zu übernehmen. Ausserdem dürfen Gäste für einmal ihre Freunde oder Familienmitglieder mitbringen. So wird ihnen dieser Tag wenigstens ein bisschen erträglicher gemacht. Auch Kern versucht ihr Bestes, wie sie zum Schluss erklärt: «Weihnachten ist eine schwierige Zeit für meine Gäste. Mit meinem Essen und guter Stimmung versuche ich, sie ein bisschen davon abzulenken.»
Gut zu wissen
Die Gassenküche Frauenfeld ist am Montag, 25. Dezember wie üblich geöffnet. Dafür bleibt das Restaurant am Mittwoch vorher und nachher geschlossen. Eingeladen sind alle, die am Existenzminimum leben oder AHV oder IV mit Ergänzungsleistung beantragen und Weihnachten nicht alleine verbringen wollen. Essen gibt es ab 11.30 Uhr, Gäste dürfen auch schon vorher kommen. js